Verwaltungsräte müssen selbst kommunizieren
Verwaltungsräte sind die obersten Aufsichts- und Gestaltungsgremien einer AG, aber in Bezug auf ihre eigene Kommunikation vielfach schlecht gerüstet. Sie haben dafür meist weder ein eigenes Budget noch Personal, sondern müssen sich ganz auf die operative Leitung verlassen. Dieser nicht abgedeckte kommunikative Bereich kann für das ganze Unternehmen gefährlich werden, wie das Beispiel der PostFinance zeigt.
Von HANS KLAUS
Jeder kennt das Phänomen des toten Winkels vom Autofahren. Die Nebenspur scheint frei, wie der Blick in die Rück- und Seitenspiegel bestätigt. Alles unter Kontrolle. Entspannt und schon wieder in die eigenen Gedanken versunken, dreht man sein Lenkrad zur Seite – bis plötzlich direkt neben einem ein Schatten auftaucht: Ein Wagen, der eben überholt, glatt übersehen. Schnell das Lenkrad wieder zurückgerissen, Crash verhindert, noch mal Glück gehabt. Diesen gefährlichen toten Winkel gibt es auch in der Wirtschaft: Verwaltungsräte, die per Definition alles unter Kontrolle haben müssten, aber selbst nicht den vollen Blick haben.
Beispielhaft zeigt sich das beim Verwaltungsrat der PostFinance, bei der allein die Bestellung eines neuen CEO – immerhin eine seiner Hauptaufgaben – chaotisch verlief. Schon im März 2023 kündigte Hansruedi Köng seinen Rücktritt als CEO «auf eigenen Wunsch» per Ende Februar 2024 an. Im Dezember 2023 hatte der Verwaltungsrat noch immer keinen Nachfolger und musste einen interimistischen CEO einsetzen. Der SRF kommentierte ironisch: «Die zwölf Jahre mit Hansruedi Köng an der Spitze der Bank waren offenbar nicht lange genug, um intern einen geeigneten Nachfolger aufzubauen.» Die Handelszeitung meldete, es sollte nun «am liebsten eine Frau» werden. Nach insgesamt zehn Monaten wurde es mit Beat Röthlisberger aber doch wieder ein Mann, der durch die Dauer des Verfahrens und die Spekulationen nun fast wie eine Notlösung erschien.
Parallel sorgte die Berufung von Beat Rütsche in den Verwaltungsrat für Empörung. Ihm wurden schwere Versäumnisse in früheren Positionen vorgeworfen. Der Blick titelte: «Hätte man nicht einen anderen nehmen können?» Zwei Monate später trat Verwaltungsrätin Giulia Fitzpatrick per sofort «aus persönlichen Gründen» zurück. Finews kommentierte: «Knall bei PostFinance». Doch auch mit dem neuen CEO kehrte keine Ruhe ein. Im Juni 2025 kündigte die PostFinance einen Stellenabbau in dreistelliger Höhe an, nur um ihn im Juli wieder zu reduzieren. Im August lehnte die Finma den Notfallplan der PostFinance als «nicht umsetzbar» ab. Im Oktober begann eine öffentliche Diskussion über die generelle Zukunft des Unternehmens, sie werde «über kurz oder lang ein Sanierungsfall». Im November kündigte Verwaltungsrätin Bernadette Koch ihren Rücktritt an. Wieder keine Begründung und «über die Nachfolgeregelung wird zum gegebenen Zeitpunkt informiert». Das erlaubte erneute Spekulationen über den Zustand der PostFinance und ihrer Führung.
Weder Budget noch Personal für eigene Kommunikation
Verwaltungsräte sind das oberste Aufsichts- und Gestaltungsorgan einer Aktiengesellschaft. Die Geschäftsführung übertragen sie in der Regel einer Geschäftsleitung, bringen sich aber trotzdem stark operativ ein. Die Liste ihrer Pflichtaufgaben laut Obligationenrecht ist lang, gleichzeitig sind sie typischerweise nur im Teilzeitpensum tätig und immer noch andernorts engagiert. Die strategische Kommunikation in eigener Sache kommt damit meistens zu kurz. Die Organisationen rüsten ihre Verwaltungsräte dafür zudem meist denkbar schlecht aus. Sie erhalten weder eigenes Kommunikationsbudget noch Personal, sondern sind auf die Initiativen und Ressourcen der operativen Leitung (z. B. Konzernkommunikation) angewiesen. Das führt dazu, dass ausgerechnet das oberste Gremium des Unternehmens mit seinem besonderen Einfluss auf die Reputation ungeplant und unprofessionell agiert.
Den individuellen Verwaltungsräten fehlen zudem fast immer die eigene Fachkompetenz und Erfahrung in Bezug auf moderne Kommunikationsstrategien und -mittel. Ihr Profil ist anders ausgerichtet, daher ist es für sie wichtig, die eigenen Grenzen auf diesem Gebiet zu erkennen und professionelle Unterstützung einzufordern. Im Schnitt sind Verwaltungsräte heute 60 Jahre alt; der Anteil der 70-Jährigen hat sich seit 2010 verdoppelt. Wenig vertraut sind ihnen insbesondere die heutige Bedeutung und Dynamik von sozialen Medien und audiovisuellen Formaten wie Podcasts, Vodcasts und Kurzvideos. Doch diese spielen, neben den weiterhin wichtigen klassischen Medien, längst auch in der politischen und wirtschaftlichen Kommunikation eine entscheidende und wachsende Rolle.
Verwaltungsräten ist daher heute zu empfehlen, die strategische Kommunikation in eigener Sache als Kernaufgabe zu definieren und entsprechende Ressourcen von der Organisation einzufordern. Das umfasst eine kommunikative Strategie und Konzeption, Kernbotschaften, Medien- und Interviewtraining sowie aktive Medienarbeit – für das Gremium insgesamt als auch für die individuellen Verwaltungsräte. Sie sind immerhin die ranghöchsten Repräsentanten des Unternehmens, von ihrem Agieren und der öffentlichen Wahrnehmung wird abgeleitet, wie es um die Organisation steht. Bedeutsame Entscheide auf dieser Ebene müssen selbstbestimmt kommuniziert werden, gute Nachrichten ebenso wie schlechte. Wer das allein der Geschäftsleitung überlässt, beginnt sich in den kommunikativen toten Winkel und damit potentiell auf einen gefährlichen Crashkurs.